Reifegrad_Maer/Apr

REIFE GRAD 043 Kunst & Kultur Der ursprüngliche Beweggrund, das Heiligen-Geist-Hospital zu gründen, war die Furcht der Kaufleute vor dem Fegefeuer. Durch gute Taten konnte man die Zeit dort verkürzen, glaubte man. Und durch die Gebete der Armen, die imHospital lebten. In einigen Räumen des gotischen Gebäudes sind die Stif- tungsverwaltung der Stadt untergebracht, die von hier aus mehrere Wohnstifte verwaltet. Die Kabäuschen stehen zum Teil leer, zum Teil werden sie als Lagerräume genutzt. Einmal im Jahr aber wird das Heiligen-Geist-Hospital zum großen Tummelplatz der Kunsthandwerkerszene Nord- deutschlands: Rund um Weihnachten drängeln sich dann hier die Besucher immer im Kreis um die Kabäuschen her- um. Und in den Kammern, die das Jahr über leer stehen, sit- zen Kunsthandwerker und bieten ihre Werke feil. Teilweise produzieren sie unter den Augen der Gäste ihre Waren, er- klärenund verkaufen. ImVorsteherzimmer, demschmucken Raum direkt neben dem Eingang zur Langhalle, sitzt dann die Marktleitung, der kostbare gotische Backsteinfußboden ist dann mit Teppichen bedeckt, damit die vielen Füße nicht noch mehr Material verlieren. Und während des ganzen Trubels leben und arbeiten di- rekt nebenan die Bewohner und Mitarbeiter des „anderen“ Heiligen-Geist-Hospitals. Eben der Sozialeinrichtung der Welt, die eine der längsten Traditionslinien besitzt. Und die ursprünglich aus Furcht vor dem Fegefeuer entstanden ist. Und aus Respekt vor dem Alter. Reformation wurde die katholische Einrichtung, die klos- terähnlich organisiert war, in ein weltliches Altenheim um- gewandelt. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in der Langhalle die vier Quadratmeter großen hölzernen Kam- mern gebaut, die „Kabäuschen“. Bis dahin waren die Betten in der Halle aufgestellt und mit Seilen und Leinwänden von- einander abgetrennt. Es gab auch schon zu dieser Zeit den nördlichen Frauengang und den südlichen Männergang. Die Vorstellung, dass die Kammern der einzige Raum der Bewohner war, ist allerdings irrig: Es gab immer Gemein- schaftsräume, das Kabäuschen war lediglich Rückzugs- und Schlafraum. Noch bis in die 1970er-Jahre waren die letzten Kammern be- wohnt. Erst dann zog das komplette Altenheim in den nörd- lichen Flügel des Heiligen-Geist-Hospitals. Dort, jenseits des Kreuzgangs, sind heutzutage die Zimmer der Bewohner, die Gemeinschafts- und Wirtschaftsräume untergebracht. Das alte Heiligen-Geist-Hospital dagegen bleibt als Denkmal er- halten – wenn es auch weiterhin genutzt wird.

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