Jürgen Wullenwever
Umstrittener Lübecker Bürgermeister

Den Namen kennen viele Lübecker. Aber was hat den Mann, der kurz nach der Reformation Bürgermeister von Lübeck war, zu so einer Berühmtheit werden lassen, dass nicht nur Straßen, sondern auch Druckereien und Restaurants nach ihm benannt wurden?

In der Lübecker Politik – die vor ein paar Jahrhunderten weit über die Lübecker Stadtgrenzen hinausging – war der Höhepunkt der politischen Gestaltungskraft erreicht, wenn man Bürgermeister der Freien Hansestadt wurde. In diesem Amt hatte man, wenn auch von den anderen politischen Spielern beeinflusst, die größte Macht, die man in dieser Region erreichen konnte. Das ist im Falle von Jürgen Wullenwever etwas anders. Über Jürgen Wullenwevers früheres Leben ist recht wenig bekannt – noch nicht einmal ein authentisches Porträt ist von ihm vorhanden.

Der Politiker Jürgen Wullenwever bestimmte über zehn Jahre die Politik der Stadt Lübeck entscheidend mit – und scheiterte als Bürgermeister

Die Bilder, die den Lübecker Bürgermeister zeigen, sind entweder Spottbilder, die ihn als feisten Mann mit übergroßer Nase zeigen oder heroische Gestalten auf zeitgenössischen Flugblättern. Das Porträt von Jürgen Wullenwever im Lübecker Rathaus ist ein Gemälde von 1937, als Jürgen Wullenwever gerade wahlweise als Sozialrevolutionär oder Vorkämpfer der deutschen Sache verehrt wurde. Man geht davon aus, dass Wullenwever aus einer mecklenburgischen Familie stammt, die in Hamburg zu Wohlstand gekommen war. Spätestens 1488 muss Jürgen Wullenwever in Hamburg zur Welt gekommen sein. Er war schon in Hamburg als Kaufmann tätig, bevor er 1525 nach Lübeck umzog. Dort heiratete er eine Kaufmannswitwe und wurde schnell in die wichtigen Zirkel der Stadt aufgenommen. Im Jahr seines Umzugs wurde er bereits Ältermann, also Vorsitzender, der Nowgorodfahrer – der Kaufleute, die mit Russland Handelsbeziehungen unterhielten. Die Zeit, in der Wullenwever nach Lübeck kam, war politisch äußerst brisant. Die Reformation hatte Fahrt aufgenommen, Wullenwevers Bruder Joachim war in Hamburg an der Einführung des evangelischen Bekenntnisses beteiligt.

Jürgen Wullenwever kam in politisch brisanten Zeiten nach Lübeck. Er war kurz nach seiner Ankunft bereits Wortführer der Protestanten in der Stadt.

Auch in Lübeck gärte es seit 1520, Wullenwever war nach recht kurzer Zeit bereits Wortführer der Evangelischen in der Hansestadt. Er bestimmte maßgeblich den Ton eines Bürgerausschusses, der dem Rat der Stadt gegenübersaß. Nach der Einführung der Reformation in der Stadt – hauptsächlich vorangetrieben vom Reformator Johannes Bugenhagen – verließen zwei Bürgermeister heimlich die Stadt. Der meisterhafte Redner und geschickte Stratege Wullenwever setzte daraufhin durch, dass der geschwächte Rat durch mehrere Bürger erweitert wurde – er selbst wurde allerdings zur Enttäuschung vieler nicht in dieses Gremium berufen. Erst 1533 wurde Wullenwever Bürgermeister und versuchte erfolglos, mit dänischer Hilfe Lübecker Interessen gegen die neue Handelsmacht der Niederlande durchzusetzen. Daraufhin versuchte Wullenwever, finanziert mit beschlagnahmtem Kirchenvermögen, einen eigenen Krieg gegen die Niederländer zu führen – der Messingleuchter der Marienkirche wurde dabei zu Kanonen eingeschmolzen. Innerstädtische Gegner setzte der beliebte Wullenwever politisch matt. Die Nachbarn in Holstein und Dänemark wandten sich gegen Lübeck.

Die politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts vereinnahmten den streitbaren Bürgermeister. Sogar das Buddenbrookhaus wurde zum Wullenweverhaus

Die Beliebtheit Wullenwevers sank rapide. Nachdem die Lübecker Flotte 1535 sank, wurden die Stimmen lauter, die eine Wiedereinsetzung der alten Ordnung forderten. Wullenwever und seine Mitstreiter traten auf Grund eines kaiserlichen Ultimatums zurück. Der ehemalige Bürgermeister verzichtete auf ein ehrenvolles Amt und sammelte wieder Söldner um sich. Daraufhin wurde er gefangen genommen und 1537 hingerichtet. Wullenwever war in politisch brisanten Zeiten ein Anführer der Reformation in Lübeck. Trotz oder vielleicht wegen der kurzen, heftigen Zeit als Bürgermeister, wurde er vor allem lange nach seinem Tode als Kämpfer gegen die Unterdrückung verklärt. Die Linken in Norddeutschland sahen in ihm einen geistigen Bruder von Störtebeker, die Rechte vereinnahmte ihn in ihrer Traditionsbildung ebenfalls: Statt nach den „Buddenbrooks“ der ungeliebten Manns hieß das Haus in der Mengstraße im Dritten Reich nach Wullenwever. Viele Spuren der Verklärung findet sich noch in Lübeck. Eine der teuersten Wohnstraßen Lübecks heißt nach ihm, ein Sternerestaurant auf der Altstadtinsel genauso und auch die Druckerei, in der dieses Heft gedruckt wird. Und im Niederegger-Museum steht ein lebensgroßer Jürgen Wullenwever an prominenter Stelle: zwischen Kaiser Karl und Firmengründer Johann Georg Niederegger.

 

 

 

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