„Hier schlüpfen sie in ihre Rollen“

In der Maske des Theaters Lübeck

Simon Wiese, Maskenbildner

Er kommt den Schauspielern im Lübecker Theater so nahe wie wenige Menschen – und das in einem sehr heiklen Moment: Kurz bevor sie auf die Bühne gehen, sind sie bei ihm in der Maske, bekommen Perücken und Make Up angelegt. „Die Haare und die Schminke helfen dem Akteur, sich zu verwandeln“, sagt Wiese. Und auch, wenn er stolz auf seine Arbeit ist, tut er alles, damit man sie nicht bemerkt.

Wiese hat ursprünglich, wie fast alle Maskenbildner, das Friseurhandwerk gelernt. Der große Unterschied zu dem, was er heute tut: „Unsere Hauptarbeit ist das Perückenknüpfen.“ Denn fast alles, was die Schauspieler auf der Bühne als Frisur tragen, ist eine Perücke. „Das geht viel schneller: Die Haare nach oben schneckeln und dann die Perücke anlegen.“ Gerade während einer Vorstellung muss es da sehr schnell gehen: „Wir haben manchmal nur zwanzig Sekunden für Umzüge, da wurschteln wir auch schon mal zu dritt an einem Schauspieler herum“, beschreibt er den hektischen Teil seiner Arbeit.
Theaterluft hat Wiese schon früh geschnuppert, mit 12 hatte er Statistenrollen am Theater angenommen. Nach der Friseurausbildung kam noch eine dreijährige Ausbildung als Maskenbildner hinzu „Wir sind etwas ganz anderes als Make-Up-Artists oder Visagisten“, räumt er mit einem alten Vorurteil auf. Denn sein Aufgabenfeld ist viel breiter. Historische Frisuren muss er genauso herstellen wie Glatzen streichen. Wenn es um drastische Effekte wie abgeschlagene Köpfe oder Wunden auf der Bühne geht, sind Wiese und seine Kolleginnen beteiligt. „Am schönsten ist es, wenn die Zuschauer nicht merken, dass wir etwas gemacht haben“, beschreibt er das Ziel der langen Arbeit.
Denn schnell geht das nicht. Eine Perücke zu knüpfen dauert mindestens eine Woche – von allen Ensemblemitgliedern gibt es am Theater Modellköpfe zur Vorbereitung – und rund acht Wochen vor der Premiere fängt das Team der Maske mit seiner Arbeit für die Produktion an – ähnlich wie die Kostümbildner. „Wir kommen mit den drei Endproben zum Einsatz“, berichtet Wiese. Und natürlich bei den Auftritten selbst: „Wir arbeiten jedes Wochenende, jeden Feiertag und zu Silvester gibt es Doppelvorstellungen“, erzählt er von den üblichen Arbeitszeiten. Um gleich klarzustellen: „Das ist ein toller Beruf, ein Traum!“

Wir arbeiten hier alle zusammen, ganz besonders natürlich Hand in Hand mit dem Kostüm. Ich muss mich individuell immer wieder auf Neues einstellen. Das hält jung, man bleibt offen.

„Wir sind hier Generalisten, alle können alles“, beschreibt der Chefmaskenbildner sein Team am Theater Lübeck. „Wir arbeiten eng mit dem Malsaal zusammen, mit den Modisten, dem Färberkeller“ – im Theater sind die Wege kurz. Und kein Tag ist wie ein anderer: „Wenn ich morgens komme, weiß ich: bis heute Nachmittag kann viel passieren.“ Als Maskenbildner, das weiß er, muss man flexibel sein und sehr schnell reagieren können. Auf „seine“ Maske kann er sich dabei verlassen: „Das ist hier ein ganz familiäres Team, wir hocken in so einem kleinen Raum so eng aufeinander, das ist schon fast schlimmer als Familie.“
Was das Besondere an seinem Beruf ist? Ganz sicher das Fingerspitzengefühl, das er hier beweisen muss. „Hier schlüpfen die Akteure in ihre Rollen, das ist ein besonderer Moment. Ich muss spüren, was derjenige will, der da sitzt.“

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